by Gabriele Kaiser
Opening “FOUR-SIDED. FOTOGRAFIE ZUR ARCHITEKTUR”
May 27, 2005 in Schlierbach (A)
Vielen Dank für die Einladung, heute Abend über die Ausstellung “four-sided. Fotografie zur Architektur” von Andrew Phelps zu sprechen. Die etwas ungewöhnliche Präposition des Titels “Fotografie zur Architektur” kommt meiner eigenen Wahrnehmung dieser Serie sehr entgegen, denn ich glaube, dass es sich hierbei tatsächlich nicht um Bilder von Architektur im Sinne eines Abbilds von Gebäuden handelt, sondern um Fotos “zur” Architektur im Sinne einer kommentierenden Bild-Legende durch das Bild selbst. Der Haupttitel “four-sided” verweist einerseits auf den Vierkanter als markante Bautypologie der Region, andererseits auf die unvermeidliche Begrenzung der Welt in der Fotografie: ein Bild hat vier Seiten – die Welt im allgemeinen ein wenig mehr.
Andrew Phelps ist mir vor allem über seine freien fotografischen Arbeiten vertraut, besonders über sein Projekt “nature de luxe”, das sich anhand einer systematischen Dokumentation von Camping-Plätzen mit den vielfältigen Beziehungen zwischen Mensch und Landschaft befasste. Eine Besonderheit aller seiner Fotos ist für mich eine spezielle Balance zwischen distanzierter Betrachtung einerseits und absoluter Intimität andererseits, die diese Bilder stets ausstrahlen und durch die sie vor einer Verklärung des Gewöhnlichen geschützt sind.
Ich glaube, dass man Fotografie ihrem Wesen nach zwar als einen Akt der Nichteinmischung bezeichnen kann, doch erweist sie sich dann als besonders interessant, wenn sie die eigene Ambivalenz zum Vorschein bringt, indem sie Wirklichkeiten schildert, die bereits existieren, die aber nur von der Kamera enthüllt werden können.
Obwohl die Fotografien von Andrew Phelps generell durch einen sehr nüchternen und präzisen Bildaufbau gekennzeichnet sind, bergen sie ein erzählerisches Moment, das über einen dokumentarischen Ansatz weit hinausgeht. Und obwohl auf allen Bildern dieser Serie gebaute Strukturen aus der Umgebung des Stiftes Schlierbach zu sehen sind, haben wir es hier nicht mit Architekturfotografie im klassischen Sinn zu tun. Es geht hier weder um eine fotografische Bestandsaufnahme ländlichen Bauens noch um eine bildliche Errettung einer vom Verschwinden bedrohten architektonischen Tradition. Was ein legitimer Ansatz für ein Heimatmuseum sein könnte, wird dem Anspruch der vorliegenden Serie nicht gerecht. In den Fotos von Andrew Phelps, dessen Blick von außen gewissermaßen biografisch bedingt ist (er stammt aus Arizona und ist naturgemäß mit vollkommen anderen faktischen und mentalen Landschaften aufgewachsen), werden die scheinbar normalen (banalen) architektonischen Verhältnisse der Region ins Bild gesetzt: wir sehen Alltägliches, eine Kegelbahn, ein Containerhotel, ein Gewächshaus, einen Hochstand, eine Würstelbude, eine Garage. Der Blick daruf kommt von aussen, aber er erweist sich in der Art der Schilderung immer als “involviert” und persönlich. Ökonomische Verhältnisse, landwirtschaftliche Produktionsbedingungen, die regelementierte Interaktion von Mensch und Natur, diverse Funktionalisierungen von Landschaften – Themen dieser Art werden stets am konkreten Erzähl-Gegenstand manifest, an den Spuren seiner Nutzung, Vergänglichkeit und vielleicht auch an seiner Absurdität. Vertrautes wirkt so mit einem Mal fremd, es hält inne und fordert uns auf, gebaute Strukturen als Spiegelung konkreter, vielleicht auch eigner Lebenszusammenhänge zu erkennen.
Alle auf den Fotos dargestellten Räume und baulichen Strukturen könnte man als “anonyme Architekturen” bezeichnen. Dennoch lassen sich die Bilder dieser Ausstellung kaum in den Kontext der gängigen Dokumentation von anonymer Architektur eingliedern, wenngleich auch bei den hier dargestellten “architektonischen Verhältnissen” der Name des Entwerfers vollkommen unwichtig ist. Anonyme Architektur wird ja meist mit dem Anspruch dokumentiert, den Blick für den Wert überlieferter ländlicher Bauformen zu schärfen, sie gewissermaßen als Fundament gegenwärtiger Entwicklung in den architekturgeschichtlichen Kanon zu integrieren. Dieser architekturimmanente Blick ist nicht die Perspektive, die Andrew Phelps für seine Recherche gewählt hat. Das ist schon allein daran zu erkennen, dass der architektonische Wert der hier fotografierten Bausubstanzen eher gering ist. Und das fotografische Abbild spricht sich auch in keiner Form für die Bewahrung des Gegenstands aus. Selbst die für die Region stärkste Bau-Typologie, den Vierkanter, hat Andrew Phelps nicht als konsekutive Serie von Bauaufnahmen dokumentiert, sondern er hat in die inneren Landschaften der Höfe geblickt, die der Außenwahrnehmung im Normalfall verborgen bleiben. In diesem spontanen und persönlichen Ansatz wird deutlich, dass sich der Fotograf stets auch von seinem Interesse an Menschen und ihren Lebensumständen leiten lässt und nicht vom Gebauten an sich. Das Gebaute wird in einem Moment funktionaler Normalität festgehalten, der immer auch etwas Rätselhaftes und Unbestimmtes ausstrahlt, so als wären die eigentlichen Akteure einen Augenblick vorher noch im Bild gewesen, nun aber zufällig eben verschwunden.
Man könnte nun über die Ordnungssysteme des Gärtners im Gewächshaus sinnieren oder über die Expansionskünste des Würstelbudenbesitzers mit seiner improvisierten Bar, über den architektonischen Erfindungsreichtum des Kegelvereins, über die echte oder trügerische Idylle eines Fischteichs im Wald. Der dargestellte Gegenstand wirft stets Fragen zur Person auf, die diese Gegenstände benutzt. In diesem Sinne meine ich, dass wir es hier mit einer Art Portraitfotografie zu tun haben, auf der die Personen, die portraitiert werden, nicht anwesend sind. Die dargestellten Gegenstände, Räume und Strukturen “vertreten” diese Personen, sie geben Hinweise auf konkrete Arebits- und Lebensabläufe und den Anstoß zu einer Bilderzählung, die jeder Betrachter auf seine eigene Weise fortführen kann. Diese “erweiterten Portraits” erzählen etwas über bestimmte Landschaften und Bräuche, aber die Geschichten werden nur angedeutet, “vergegenständlicht”, nie ausgereizt oder gar bloßgestellt. Und in Abwandlung eines Zitats von Peter Szondi, welches lautet: “Die Sprache der Bilder erlaubt, das Fremde zu verstehen, ohne dass es aufhört, fremd zu sein”, möchte ich abschließend hinzufügen: Die Sprache der Bilder erlaubt es auch, das Eigene zu verfremden, ohne dass es aufhört, vertraut zu sein.