WICHERT Magazin, Kunsthalle Mannheim
Interview: Renate Diehl und Stefan Karl
DAS KURZE LEBEN VON HIGLEY
WICHERT:
Herr Phelps, welche Beziehung haben Sie zu Higley? Ich lebe in Salzburg, bin aber in Arizona geboren. Meine Großeltern wohnten in Higley und ich genoss es als Kind auf den Feldern zu spielen. Den Ort Higley in Arizona, USA gibt es erst seit dem Zweiten Weltkrieg. Ursprünglich war dort eine Militärbasis mit Flugschu- le. Higley war früher nicht mehr als ein paar weit auseinander liegende Bauernhöfe und wenige Wohnhäuser. Anfang des Jahres 2000 begann die Stadt Phoenix immer näher an Higley heranzuwachsen. Higley wurde auf einmal eine angesagte Vorstadt mit ent- sprechend hochschnellenden Immobilienpreisen. Da sich dadurch die Grundstückswerte erhöhten, mussten viele Farmer ihren Grundbesitz verkaufen, da sie die nunmehr von der Stadt und Gemeinde geforderten hohen Grundsteuern nicht mehr bezahlen konnten. Sehr oft waren sogar Zwangsverkäufe und Zwangsumsiedlungen die Folge.
Wie kam es zu Ihrem Buch „HIGLEY“?
Auch meine Großmutter ist 2004 von Higley weggezogen. Als ich im Herbst meine Familie in Arizona besuchte, bin ich auch nach Higley gefahren und bin dort durch das leer geräumte Haus meiner Großmutter gegangen. In einem Zimmer stand an der Wand noch eine große Tafel mit Fotografien (Anm. d. Red.: im Buch Seite 9 ). Das waren private Fotos meiner Familie – ich war total überrascht diese dort noch vorzufinden. In dem Moment entschloss ich mich eine Fotoserie zu machen um aufzuzeigen, wie schnell Altes verschwindet – teilweise fast ohne Spuren zu hinterlassen – und wie das Alte mit dem Neuen zusammen stößt.
Welche weiteren Themen ergaben sich noch für Sie, während der Arbeit an Ihrem Buch?
Zum einen bemerkte ich, welche Faszination der Umgang mit der eigenen Familienge- schichte hat. Gerade durch das Zurücklassen der Fototafel wurde mir bewusst, dass sich die Wünsche der Mittelklasse, aus der meine Familie kommt, verändern. Diese Tafel war meinen Verwandten zu sperrig und zu alt um sie in ihren neuen Häusern aufzunehmen. Die Wünsche der Mittelklasse-Amerikaner gehen jetzt verstärkter in formschöne und perfekt eingerichtete Wohnungen und Häuser – auch ist eine erhöhte Wohn-Mobilität der Grund dafür, nicht mehr soviel aufzubewahren – sogar wenn es Familienfotos sind. Gleichfalls wurde mir bewusst wie gierig und gefräßig Großstädte sind. Phoenix wächst Flächen deckend in einem rasenden Tempo. Der Brief, den ich im Mai 2007 an meine Schwester in Higley gesendet habe, kam versehen mit dem Postvermerk „Ort unbekannt“ zurück. Higley ist nun nicht mal mehr als Name ein Teil von Phoenix – Higley ist komplett ausgelöscht. Die exklusiven Häuser, die jetzt in dem ehemaligen Higley stehen, haben alles verdrängt was vorher war. Es wird zwar mittlerweile versucht ein öffentliches Leben und ein Miteinander der Bürger aufzubauen – das Miteinander ist aber nicht gewachsen sondern imitiert und simuliert (Anm.: „Higley“ Seite 99).
Waren die Menschen in Higley bereit dazu vor Ihre Kamera zu treten?
Ich versuche mit meiner Kamera immer eine Geschichte zu erzählen und dies mit strate fotography – dokumentarischer Ähstetik. Meine künstlerische Handschrift ist: den Fotografen in den Fotografien nicht zu sichtbar zu machen. Die Menschen in Higley ha- ben sich nicht als Objekte gefühlt, das hat mir den Zugang zu ihnen und ihren Privaträu- men ermöglicht. Wir danken Ihnen sehr für das persönliche und interessante Gespräch.