Higley
Kehrer, 2007
ISBN 978-3-939583-33-2
Hardcover
28,5 x 24,5 cm
128 pages
81 color photographs
texts by Tamarra Kaida and Andrew Phelps
40 Euro
Scroll down for an interview by Martin Hochleitner
By Martin Hochleitner
for Camera Austria.
„Evolution is an ongoing process with no guarantee of success“ (Tamarra Kaida)
„Higley“ ist nunmehr das zweite große Buch von Andrew Phelps. Seine erste Publikation „Nature de Luxe“ von 2004 hatte in knapp hundert Farbfotografien den künstlichen Charakter von europäischen Campingplätzen eingefangen. Als 1967 in Mesa, Arizona (USA) geborenen und seit 1990 in Österreich lebenden Künstler hatten Phelps bei dieser früheren Serie offensichtliche Unterschiede von Freizeit- und Naturvorstellungen sowie Urlaubspraktiken in beiden Kulturkontexten interessiert. Hieraus resultierte Fotografien, die die Konstruktion von Idyllen dokumentierten. Die Situationen privater Urlaubsinitimitäten waren von Phelps als Wirklichkeit erfasst worden – ohne Zynismus oder Wertung.
Die zwischen 2004 und 2007 entstandenen Aufnahmen des neuen Buches „Higley“ setzen die formalen und konzeptionellen Grundcharakteristika des ersten Projektes fort. Gleichzeitig ist der biografische Kontext der Bilder noch enger gefasst: Higley in der Nähe von Phönix ist für Andrew Phelps ein Ort der Kindheit und der Erinnerung. Früher wohnten hier Phelps Großeltern. Der letzte Besuch ist knapp 20 Jahre her. Nun hat sich Phelps Schwester in Higley angesiedelt. Anlass den Ort wieder zu besuchen.
Zwischenzeitlich hat sich die Gesamtsituation allerdings radikal verändert. Ein ländliches Gebiet rückte in den letzten Jahren in das suburbane Interessensfeld der expandierenden Millionenstadt Phönix. Auf der grünen Wiese entstehen derzeit neue Wohnhausanlagen, Freizeitparks und Golfplätze. „Neue Siedler“ haben ein „altes Territorium“ entdeckt. Veränderung ist angesagt und allerorts zu sehen.Gleichzeitig dünnt die ursprüngliche Bevölkerung mehr und mehr aus. Ihre Architektur und Infrastruktur verschwindet. Ebenso ihre Identität.
Phelps Fotografien zeigen beides. Das Neue und das Alte. Ohne Anklage. Ohne Romantisierung. Es gibt Bilder von Menschen und ihren Häusern, von Dingen des Alltags von Straßen und Feldern. Häuser verfallen
. Neue werden gebaut. Das brache, öde Grundstück trägt das Potential einer enormen Preissteigerung in sich. Bauland ist derzeit sehr gefragt in Higley.
Natürlich ist Higley kein Einzelfall. Higley ist Symptom eines Globalisierungsprozesses. Weltweit vollziehen Orte diesen Wandel. Abhängig von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Geschichte, Natur, Ressourcen und Klima gibt es spezifische Gründe, Rahmenbedingungen und Zeitpunkte. Ähnlich sind die Muster der Veränderungen und die Konsequenzen für Systeme. Was sich in den letzten Jahrzehnten unter den Schlagworten Suburbanisierung und Zersiedelung als die bislang tief greifendste Umformung von Landschaft erweisen sollte, wurde von der Fotografie mit entsprechend unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen auf historische, soziale, ökologische, ökonomische und politische Prozesse festgehalten.
In Österreich war das Themenfeld erstmals in den 1960er Jahren von Elfriede Mejchar aufgegriffen worden. Über einen Zeitraum von knapp zehn Jahren hatte sie mit Aufnahmen der Simmeringer Heide den Strukturwandel einer Wiener Umlandgemeinde von einem Naturraum zu einem Industrie- bzw. groß angelegten Einkaufsgebiet dokumentiert. Ein anderes Beispiel ist der Deutsche Laurenz Berges. Er fotografierte zuletzt Wohnhäuser von Ortschaften, die kurze Zeit später dem Braunkohletagbau weichen mussten. Dazwischen steht z.B. der 1980 von Lewis Baltz publizierte Band „Park City“, in dem er Neubauten amerikanischer Wohnsiedlungen in einer strengen Bildauffassung gezeigt hatte.
Was Andrew Phelps in diesem Kontext exemplarisch genannter Positionen mit seiner Arbeit „Higley“ besonders eindrucksvoll gelingt, ist seinen Bildern den speziellen Zustand zwischen Erinnerung und gesellschaftlicher Utopie als eine ästhetische Kategorie einzuschreiben. Seine Aufnahmen von Häusern, Strassen, Menschen, Interieurs und Alltagssituation verlagern die Aufmerksamkeit vom Gegenstand der Erinnerung und Utopie auf die Frage wie Erinnerung und Utopien funktionieren. Vielleicht erklärt sich auch die Präzision jedes Bildes und die Schlüssigkeit der Bildabfolge im Buch mit Phelps biografischer Position im Gesamtprojekt – Phelps kann in jeder seiner Aufnahme Möglichkeiten und Funktionen des individuellen Gedächtnissen und der kollektiven Vorstellung zusammenführen.
Ein weiterer wichtiger Schlüssel für die Arbeiten Andrew Phelps ist die in den letzten Jahren immer engere Verknüpfung zwischen der Referenz auf das Reale, den Paradoxien in der Bezeugung des Realen und der Realität eines Szenarios. So hatte etwa Thomas Wesky als Reaktion auf William Egglestons Serie „Los Alamos“ für dessen „direkte Auseinandersetzung mit der Welt die Wirkung einer sorgfältigen Inszenierung“ konstatiert. Der Autor beschrieb damit das Phänomen, das gerade Positionen der amerikanischen Farbfotografie der 1970er Jahre durch die folgenden „perfekten künstlerischen Konstruktionen von Authentizität, wie in den Arbeiten von Jeff Wall oder Andreas Gursky“ ihre Wirkung in Richtung subtil angelegter Aufnahmen zwischen Bild und Wirklichkeit, zwischen einem erfundenen Szenario und einer vorgefundenen Situation verändert hätten.
So finden sich in Andrew Phelps Publikation „Higley“ vielfach Aufnahmen, die die Dialektik von Vorstellung und Wahrnehmung in ein Terrain aus Fiktion und Realität überführen. Besonders pointiert ist dies in jener Aufnahme angelegt, die Phelps in Higley von einer Filmkulisse machen konnte. Das Filmset diente für Dreharbeiten eines amerikanischen Hollywood Filmes, in dem sich US Soldaten durch die Strassen der irakischen Hauptstadt kämpfen mussten. Die Dreharbeiten wurden einige Tage zuvor beendet. Im Kontext des Buches ist die Aufnahme ein Beleg für eine real vorgenommene Inszenierung. Sie fügt sich allerdings auch schlüssig zu jenen Bildern, die in der Beobachtung von Menschen und ihrem sich verändernden Lebensumfeld eine Konstruktion von Wirklichkeit erschließen. So entstehen Bilder, die eigene Beobachtungen und gesellschaftliche bzw. kulturelle Erfahrungen einprägsam verflechten können.
(Zitate von Thomas Weski: Entwurf einer Vorstellung. In: ders. (Hrsg.): William Eggleston. Los Alamos. (Zürich, Berlin, New York: Scalo, 2003), S. 172-175.